Technologie kann den Menschen befreien
Upskilling im Rahmen der Digitalisierung

Das Arbeiten der Zukunft wird von Technologie geprägt sein – dieser technologische Wandel erfordert neben der digitalen auch eine kulturelle Transformation. Weiterbildung und Neuverteilung von Ressourcen sind nicht länger bloße Schlagworte. 

Wie gelingt dieser Wandel? Was braucht es dafür? Sebastian Holtze, Senior Manager Digital Services, People & Organisation bei PwC Deutschland, findet im Gespräch Antworten.

Vor fast 25 Jahren ging in Scott’s Valley, Kalifornien, ein Online-Verleih und -Versand für DVDs an den Markt. Mit 30 Mitarbeitern, 925 Filmen und der Möglichkeit, vom Sofa – beziehungsweise vom Schreibtisch, wo die meisten Fest-PCs damals ihren Platz hatten – aus Filme nach Hause zu ordern, wollte man den bestehenden Videotheken den Kampf ansagen. Mit Erfolg: Vier Jahre später debütierte das Unternehmen an der amerikanischen Börse. Die Vision: weg vom DVD-Versand, hin zum Online-Streaming.

Fast zehn Jahre nach der Gründung wurde diese Vision in die Realität umgesetzt. Heute zählt Netflix mehr als 150 Millionen Abonnenten, fährt Umsätze in Milliardenhöhe ein und gilt als Treiber des technologischen und kulturellen Wandels der Unterhaltungsindustrie.

Früh übt sich
Ähnlich wie auch Amazon hat Netflix sich nicht mit einem funktionierenden Geschäftsmodell zufrieden gegeben, sondern die eigenen Visionen an erste Stelle gestellt und das unternehmerische Handeln danach ausgerichtet. Wo anfangs noch DVDs in Papierschuber gefriemelt wurden – händisch, versteht sich –, werden heute millionenschwere und exklusive Eigenproduktionen ausgestrahlt, personalisierte Listen für Millionen von Nutzern automatisiert generiert und täglich Tausende von Titeln wiedergegeben. Dieser Wandel kann exemplarisch sein, denn neben dem technologischen musste hier auch ein kultureller Wandel durchlebt werden. Wo früher monotoner Versandhandel herrschte, werden heute eigenständiges Arbeiten und die Einbringung neuer Ideen gefördert – das sicherte Netflix ihren langfristigen Aufstieg und unterstützt sie bis heute im Konkurrenzkampf mit Apple, Amazon und Disney.

Sebastian, Netflix ist nur ein Beispiel für eine erfolgreiche, digitale Transformation – wenn auch ein sehr eindrückliches.Was sind deiner Meinung nach die wichtigsten Treiber, die Unternehmen unabhängig ihrer Größe und Branche forcieren sollten?

Technologie hat das Potenzial, Unternehmensprozesse vollständig zu verändern. Viele Aufgaben, die Mitarbeiter heute noch tagein, tagaus erledigen, werden in Zukunft vermehrt automatisiert sein. Das steigert natürlich die Effizienz und Produktivität, verändert jedoch auch die Wertschöpfungskette und die Zusammenarbeit radikal. Unternehmen müssen daher zweierlei Dinge beachten: proaktiv den Einzug von Technologie und damit die Automatisierung von standardisierbaren Prozessen im Unternehmen vorantreiben, und – vor allem – die adäquate Einbindung der Mitarbeiter in eben diesen Prozess. Denn Technologie ist nur so stark, wie die Menschen dahinter.

Gerade in kleinen und mittelständischen Unternehmen stößt das Wort „Automatisierung“ ja oft auf schwitzige Hände.

Ja, aber oft zu Unrecht. Viele haben Angst, Technologie würde ihnen den Job streitig machen – doch dem ist nicht so. Man sollte es tatsächlich eher andersherum betrachten: Technologie kann den Menschen von immer wiederkehrenden Aufgaben befreien und so Raum für die wirklich menschlichen Fähigkeiten schaffen: Kreativität, Empathie, kooperatives und interdisziplinäres Arbeiten oder auch Innovation. Diese zwischenmenschlichen Komponenten sind und bleiben am Ende entscheidend für jede Art von unternehmerischem Erfolg – es liegt an der Führungsebene, dies zu erkennen und eben diese Komponenten aktiv zu fördern.

An den technischen Möglichkeiten scheitert es nicht – was muss deiner Meinung nach passieren, damit die digitale Transformation nicht nur ein Buzzword bleibt, sondern gelebt und umgesetzt wird? 

Zuallererst müssen Unternehmen ihre eigenen Ressourcen besser kennenlernen – also einen genauen Überblick über den Status quo bekommen. Welche Talente schlummern vielleicht bereits in den eigenen Reihen? Oft mangelt es an tiefergehendem Wissen über die bereits vorhandenen Mitarbeiter – insbesondere, wenn es um Fähigkeiten geht, die über die im Lebenslauf festgehaltenen Stationen hinausgehen. Im nächsten Schritt muss unter Einbeziehung der vorhandenen Talente dann eine Up- beziehungsweise Reskilling-Strategie ausgearbeitet werden.

Das heißt: Welche Bereiche können zukünftig standardisiert und automatisiert werden und wo entstehen neuen Geschäftsmodelle und Produkte? Welche Fähigkeiten und Berufsprofile bleiben bestehen und welche sind neu zu entwickeln? Wie kann eine neue Stelle mit vorhandenen Ressourcen besetzt werden? Manchmal passt die bereits vorhandene Kompetenz im Unternehmen zu einem hohen Prozentsatz bereits auf den Aufgabenbereich – die Aufgabe der Führungsetage besteht dann darin, die verbleibenden Prozentpunkte durch beispielsweise Fortbildungsmaßnahmen zu erreichen.

Es gilt, kontinuierlich nachzujustieren und auch mal Fehler zu machen.

Das klingt nach einer Menge agiler und ergebnisoffener Arbeit.

Absolut – wobei ergebnisoffen vielleicht das falsche Wort ist. Das Ziel ist ja bekannt, lediglich der Weg dorthin sollte bis zu einem gewissen Grad flexibel sein. Rolf Dobelli hat das in seinem Beitrag in der NZZ gut veranschaulicht: Demnach sind Flugzeuge zu keinem Zeitpunkt einer Reise tatsächlich auf Kurs, es wird immer und ständig nachjustiert – das Ziel wird am Ende aber natürlich trotzdem erreicht. Übertragen auf die Arbeit bedeutet dies eine Menge Agilität und vor allem Mut. Es gilt kontinuierlich nachzujustieren und auch mal Fehler zu machen.

Deutschland ist ja nicht unbedingt für seine konstruktive Fehlerkultur bekannt.

Daher auch der dringende Ratschlag, den technologischen Wandel auch als einen kulturellen Wandel zu begreifen. Überspitzt gesagt: Fortschritt lebt vom Trial-and-Error-Prinzip – das sollte auch in anderen Bereichen Einzug erhalten. Dafür müssen jedoch kulturelle Rahmenbedingungen geschaffen werden, die überhaupt den Raum für neue Kompetenzen schaffen und so einen neuen Grad an Agilität fördern. Am Ende sind es die Mitarbeiter, die darüber entscheiden, ob Veränderung gelingt oder nicht – vorgelebt und angestoßen werden muss er jedoch von den Entscheidern. Das Management muss sichtbar und glaubhaft Anreize setzen und aufzeigen – um zu zeigen, wie ernst es ihnen ist.

Eine Incentivierung bedarf ja auch immer eines klaren, zu erreichenden Ergebnisses. Wie lässt sich eine unternehmensweite Transformation messbar machen?

Unternehmen denken bei diesen Themen oft zu kurzfristig und erwarten, dass innerhalb von einem Jahr ein völlig neues Mindset aufgebaut ist. Eine völlig unrealistische Erwartungshaltung. Veränderung ist stets ein Prozess, oft von vielen Jahren und auch nie zu Ende.  Es ist daher wichtig, die Mitarbeiter mitzunehmen. Ein starker Hebel ist sicher die Lernkultur – Stichwort „Lebenslanges Lernen“. Denn die „eine Karriere“ gibt es nicht mehr. Es gilt daher, den eigenen Mitarbeitern das Lernen schmackhaft und sie langfristig bereit für neue Aufgabenfelder zu machen. Mitarbeiter müssen außerdem aktiv mitgestalten können, wie diese Weiterbildung aussehen soll – damit sie am Ende auch wirklich besser arbeiten können. Ein gesunder Mix aus verständlichen Online-Formaten, „Learning-on-the-Job“-Angeboten und ausgewählten Klassenraumtrainings ist hier das Mittel der Wahl, damit der Transfer in die tägliche Arbeit auch wirklich gelingt.

Apropos Lernen: Unter dem Namen „Mission RUDI“, eine Initiative, die Schulen und Wirtschaft näher zusammenbringen soll, hast du Workshops und Projektwochen in Schulen in Rhein-Ruhr etabliert. Mit welchem Hintergrund?

Wir möchten die digitale Zukunft und ein gewisses Maß an unternehmerischem Denken frühzeitig an die Generation von morgen tragen. Durch die abnehmende Last an repetitiven Arbeiten wird innovatives und kreatives Arbeiten immer weiter in den Fokus gerückt – dazu gehören aber eben auch eine positive Fehlerkultur, agile Arbeitsmethoden und technologische Affinität. Diese Punkte finden noch in den wenigsten Lehrplänen wirklich Platz.


Sebastian Holtze gibt sein Wissen und Mindset generationsübergreifend weiter – hier auf dem ruhrpitch (Foto: ruhrpitch)

Abschließend zu dir, deinem Team und eurer Arbeit: Als Experte für digitale Transformation und New Work berätst du zusammen mit deinem Team Unternehmen auf ihrem Weg zum fortschrittlichen, technologischen und agilen Arbeiten und Lernen. Welche Schlüsselfähigkeiten müssen mitgebracht werden, um genau das zu tun?

Allen voran Struktur. Wir bearbeiten sehr strategische und komplexe Fragestellungen für unsere Kunden, was ohne Weitsicht und hochgradig strukturiertes Arbeiten kaum möglich ist. Weiterhin natürlich genau die Aspekte, die wir auch in unseren Kunden zu wecken versuchen: Kreativität, Innovationsgeist und Offenheit – und natürlich eine Affinität für Technologie.

Wir bei PwC möchten Verantwortung übernehmen und mit unserem Wissen die gesellschaftliche Debatte rund um den digitalen Wandel mitgestalten – das heißt auch, dieses Verantwortungsbewusstsein innerhalb der Unternehmen zu etablieren oder zu festigen und in allen Bereichen unserer Gesellschaft Rahmenbedingungen für neue Arbeitsmodelle und Jobs der Zukunft zu schaffen.

Digitale Optimierung nach der Corona-Krise
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